Vor dem Bankrott

Sobald ein Problem auftaucht, verteilt die Politik zuerst die Hauptrollen. Auch als der Franken sich jüngst kräftig aufgewertet hat, war der Bölimann der Stunde rasch gefunden: der Generalimporteur. Der Exporteur dagegen wurde zum Opfer – und der Konsument wahlweise zum Guten, wenn er unter dem bösen Generalimporteur leidet, und selbst zum Bösen, wenn er auf der anderen Seite der Grenze seine Wochenendkäufe tätigt. Und danach erklingt der Ruf nach Interventionen.

Freiwillig. Gewiss sind die Auswirkungen des Wertezerfalls von Euro und Dollar auf die heimische Wirtschaft zum Teil dramatisch. Wer mit hoher Fertigungstiefe in der Schweiz produziert und seine Produkte grossteils exportiert, dessen Gewinnspanne ist umgehend unter massiven Druck geraten. Es wäre deshalb wenig verständlich, jenen Unternehmern Steine in die Wege zu legen, die mit Euro-Löhnen für Grenzgänger oder temporärer Mehrarbeit versuchen, die Wertschöpfung im Lande zu behalten. Andere Wirtschaftsakteure aber sind kaum betroffen oder profitieren gar als Konsumenten oder Produzenten vom günstigeren Einkauf im Ausland.

Auch im Inland werden die Preise unter Druck geraten. Denn wer sich über höhere Importmargen empört, sollte zum Konkurrenten gehen – und nicht zum Gesetzgeber rennen. Auf jeden Fall zielt die Forderung nach schärferen Bestimmungen über vertikale Absprachen fehl. Das Kartellgesetz hat die Marktmacht im Visier, nicht generell höhere Preise. Wer im meterlangen Reisregal nach dem überteuerten Marken-Reis statt der No-Name-Variante greift, in der Pfanne ohne geschmacklichen Unterschied, macht das letztlich freiwillig.

Überspannt. Ob auf der Import- oder der Exportseite: Das Problem liegt nicht im absoluten Kurs des Frankens, sondern in der Geschwindigkeit und Heftigkeit der aktuellen Ausschläge. Der Dollar lag nach dem Zweiten Weltkrieg während Jahrzehnten bei über vier Franken, sank danach kontinuierlich, lag lange um anderthalb Franken und gab schliesslich weiter nach. Dabei verloren die Schweizer Exporteure international genauso wenig an Boden wie die Importeure national ihre Margen generell auszuweiten vermochten. Mit einer verhältnismässig liberalen Wirtschaftspolitik und innovativen, international erprobten Unternehmen gesegnet, hielt die Schweiz der Nachkriegszeit vielmehr ihren Spitzenplatz ganz vorne unter den erfolgreichsten Ländern.

Wer nun – wenige Wochen vor den grossen Wahlen – sich mit Aktivismus in Szene zu setzen versucht, untergräbt dieses Modell. Die Anbindung des Frankens an den Euro erstens würde die hiesige Volkswirtschaft nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch noch enger mit dem überspannten Euroraum verknüpfen. Weitere Gesetze und höhere Subventionen würden zweitens die Fähigkeit weder der Konsumenten noch der Produzenten befördern, sich an und mit den Märkten anzupassen. Und würde drittens die Personenfreizügigkeit beschnitten, fielen die frei werdenden Stellen nicht Einheimischen zu, sondern weg.

Nötig. Im Gegenteil zwingt uns der teure Franken, noch rascher und konsequenter an den Erfolgsfaktoren einer kleinen offenen Volkswirtschaft zu arbeiten. Ein Agrarfreihandelsvertrag mit der Europäischen Union, grosszügigere Drittstaatenkontingente auf dem Arbeitsmarkt, tiefere Abgaben, ein kleinräumiger Standortwettbewerb, Denk- und Forschungsfreiheit – kurz: eine liberale Wirtschaftspolitik zu verfolgen, war schon immer richtig. Heute aber ist sie nötiger denn je. Als Kleine unter Grossen ist die Schweizer Politik gut damit gefahren, weder Welt noch Wirtschaft bestimmen zu wollen, sondern sich zurückzunehmen. Darin liegt letztlich auch der Grund, warum die Finanzmärkte in den Franken flüchten. Die Schweizer Nationalbank hat noch keine Staatsschuld inflationiert, die Schweizer Politik sich noch keine etatistischen Exzesse geleistet.

So offensichtlich sämtliche Werte – von der tiefen Arbeitslosigkeit bis zum allgemeinen Wohlstand – nach wie vor für das Schweizer Modell einer verlässlichen und relativ liberalen Wirtschaftspolitik sprechen, so hartnäckig hält sich die Mär von den entfesselten und gefährlichen Marktkräften. Bis weit in bürgerliche Kreise hinein will man jüngst eine generelle, ja eine übermässige Deregulierung festgestellt haben. Als ob die Gesetzesdichte, die Staatsquote und die öffentlichen Ausgaben nicht überall zugenommen hätten, gehört es allenthalben zum guten Ton, nach noch mehr staatlichem Einfluss zu rufen. Dabei werden praktisch alle grösseren westlichen Länder bereits von Sozialdemokraten regiert – explizit oder implizit. In genau deren Glauben an die politische Machbarkeit liegt im Wesentlichen der Grund, warum nun eine Schuldenmisere um sich greift, die unser Kulturkreis in Friedenszeiten noch nie gesehen hat.

Die Rettung sogenannter systemrelevanter Banken zum einen und die kriegerischen Interventionen im Nahen und Mittleren Osten zum anderen, beides von links an dieser Stelle gerne ins Feld geführt, haben die öffentlichen Kassen ganz gewiss nicht entlastet. Sie treffen den Kern des Problems aber nicht, stünden doch dann die friedlicheren Europäer besser und die bankabhängigere Schweiz schlechter da. Vielmehr scheint die Idee des Primats der Politik gegenüber jener der offenen Gesellschaft erneut zu versagen. Oder mit Obama: Es ist keine Frage des Klassenkampfs, sondern der Mathematik. Denn führte einst der Sozialismus aller Welt in die Knechtschaft, zeigt heute der Sozialdemokratismus aller Parteien in den Bankrott.

Kommentar schreiben

Die E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *.