Neue Kantonsverfassung: Primat des Menschen

Jenseits des „Wir“. An der Verfassungsfeier im Münster, die im Gegensatz zur Gefeierten erfreulich kurz ausfiel, stach die gehaltvolle Ansprache der Regierungspräsidentin hervor. Leider aber blieb ihr sozialdemokratisches Gesellschaftsverständnis ohne Widerrede, es fehlte die freiheitliche Interpretation der Verfassungsnorm. Wer der guten „Wir-Gesellschaft“ die böse „Ich-AG“ entgegenstellt, schlägt aus liberaler Sicht – wohl nicht nur sprachlich – gleich zwei Mal daneben.Zum einen sind privatwirtschaftliche Aktiengesellschaften nach innen wie nach aussen hochgradig vernetzte Gebilde. Zum Anderen stellt die Gesellschaft eben gerade die übergemeinschaftliche Handlungsebene jenseits des „Wir“ dar. Wer Individuum, Gemeinschaft, Gesellschaft und gar noch Staat in einer mehr oder weniger geraden Linie, in der Fortsetzung des einen durch das andere sieht, verkennt deren prinzipiellen Unterschiede.

Gewalt zurückbinden. Einer Verfassung, selbst einer kantonalen, kommt zweifelsohne eine wichtige Stellung zu. Sie hat aber nicht „die Gesellschaft“ oder gar die Gemeinschaften zu ordnen, sondern die freie von der staatlich geregelten Öffentlichkeit abzugrenzen. Sie hat heute primär die Aufgabe, den Staat, dieses gewaltige Machtinstrument, in seine Schranken zu weisen und darauf zu achten, dass er nur dort aktiv wird, wo etwas übergemeinschaftlich tatsächlich für alle gleich geregelt sein muss und notfalls mit Gewalt durchgesetzt werden darf. Und das ist letztlich nicht so viel – und auf jeden Fall weniger als die heutige Verfassungswirklichkeit. Eine gute Verfassung und ein guter Staat schreiben nicht das eigene Primat fest, sondern schützen das Primat des Menschen.

Gesellschaft ohne Ziel. Die Gesellschaft ist ein komplexes und letztlich nicht zu ordnendes Gebilde. Sie verfolgt kein Ziel. Sie bildet sich aus den unzähligen Gemeinschaften – aus Freundeskreisen, Nachbarschaften oder Familien – und den sich darin wohlfühlenden Menschen. Freundschaftliche, soziale und berufliche Kontakte, Erfahrungen, Enttäuschungen und Erfolge, Hoffnungen, Erwartungen und Bestrebungen, aber auch Glaube, Zuneigung und Liebe bestimmen unser Leben – und zeichnen damit letztlich die Charta der Gesellschaft. Eine Verfassung kann das nicht. Sie muss und soll es auch gar nicht können.

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