Schamlose Zeiten?

Der Zeitgeist ist schamlos! Diese Behauptung ist so wenig neu, wie die Politik darauf reagiert. Sie greift ein und versucht, Gegensteuer zu geben – und gleichzeitig die Gunst der Stunde zu nutzen. Der Bürger soll von der selbst gesuchten Öffentlichkeit geschützt werden, um umgehend an die staatliche dekretierte Öffentlichkeit gezerrt zu werden.

Datenschutz. Augenfällig zeigt sich dies an der Diskussion um die Kleiderordnung im Schulzimmer. Sind Kopftücher und Miniröcke statthaft? Ein Mancher verlangt oben nach weniger und unten nach mehr Tuch. Die staatliche Einmischung in private Daten folgt dem gleichen Muster. Während allerorts üppig Datenschützerstellen geschaffen werden, stachelt mancher Staat auf Hehlersfüssen digitale Bankräuber an. Man darf gespannt sein, wie lange es dauert, bis die ersten Steuerämter bei uns den Kollegen aus halb Europa folgen. Schliesslich haben die kantonalen Finanzdirektoren bereits verlauten lassen, die gleichen Rechte einzufordern, die der ausländische Fiskus unseren Banken und damit seinen Bürgern abtrotzen sollte. Wann beruft sich wer auf gleiches Recht im Unrecht?

Auch darf der Staat die eigene Transparenz nicht von jener der Bevölkerung abhängig machen. Denn „im Rechtsstaat sind die Behörden öffentlich und die Bürger privat. Im Unrechtsstaat ist es umgekehrt,“ wie das bekannte Zitat des in Basel studierten Ökonomen Charles Blankart besagt. Erfreulicherweise hat der Basler Grosse Rat jüngst das Ansinnen abgelehnt, dass private Zuwendungen an politische Parteien veröffentlicht werden müssen. Öffentlichkeit ist vielschichtig – und nicht zwingend staatlich. Dass Manager schamlos seien, scheint zur Volksweisheit geronnen zu sein. Flugs springen immer mehr Politiker auf: Das Problem sei gross, was nach dem Gesetz-, ja dem Verfassungsgeber rufe. Es bleibt zu hoffen, dass der Gegenvorschlag zur so genannten Abzocker-Initiative, auf den sich das Bundesparlament einigen wird, den Spielraum erweitert statt beengt. Es wäre schamlos, jenen, um deren Geld es geht, vorzuschreiben, wie auf behauptete oder tatsächliche Schamlosigkeit zu reagieren ist.

Schnitzelbangg. Scham hat nicht zuletzt mit Anstand dem Nächsten gegenüber zu tun. Wer sich schamlos verhält, weitet im Erfolgsfall das Akzeptierte aus und wird anderenfalls gemeinschaftlich sanktioniert. Die Schnitzelbänggler der „Zämmegwürflete“ mögen im Stadttheater nicht mehr willkommen sein, anderswo aber das Publikum von den Stühlen hauen. Obwohl öffentlich, lässt sich dies keiner politischen Instanz delegieren. Die Bezeichnung staatlicher Behörden als „öffentliche Hand“ macht sie nicht zum Herrn über die Öffentlichkeit, sondern bezeichnet sie als Diener eben dieser Herrschaft. Nicht jede Abgrenzung zwischen öffentlich und privat, wo sich Scham definiert, bedarf der politischen Moderation.

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