Ein dickes, fast zu dickes Papier, das als Basler Kulturleitbild 2012 bis 2017 nun vorliegt. Diese eindrückliche Auslegeordnung der kantonalen Kulturpolitik stellt gegenüber dem ersten, nur schon sprachlich kaum lesbaren Entwurf eine klare Verbesserung dar. Leider aber fallen die spannendsten Kapitel Ausgangslage, Bestandsaufnahme und Herausforderungen teilweise wenig kongruent aus. Nur an- und nicht ausdiskutiert, fehlt vor allem die klare Unterscheidung zwischen der Kultur und der Kulturförderung.
Es bleibt damit unklar, auf was das Leitbild im Kern abzielt. Denn die staatliche Kulturförderung deckt nur einen kleinen Teil dessen ab, was dem kulturellen Schaffen zugeordnet werden kann. Sie hat die kommerziell rentierenden Angebote sowie die «Volks- und Laienkultur», wie es im Leitbild heisst, ebenso wenig im Fokus wie die tatsächlich alternative Kultur. Denn das kulturell Subversive entsteht kaum je an den Honigtöpfen des Staates.
Prominent führt das Leitbild ein «Drei-Sektoren-Modell» auf, das an anderer Stelle indes wieder relativiert wird. Darin ist vom «Staat (=öffentlicher Sektor)» die Rede, der «die kulturelle Grundversorgung der Gesellschaft» garantiere, von einer «Zivilgesellschaft (=intermediärer Sektor)» aus Vereinen und anderen Organisationen sowie von der «Wirtschaft (=privater Sektor)», wo «die Palette der Kulturangebote» ergänzt werde. Ganz abgesehen davon, dass dieser Versuch einer Schichtung der Gesellschaft jener der offenen Gesellschaft diametral widerspricht und der Staat eine «kulturelle Grundversorgung» im Sinn des Worts nicht leisten kann, bleibt unbeantwortet, warum er dies denn tun soll. Auch andere wichtige Dinge wie Brot, Liebe und Obdach stellt glücklicherweise nicht der Staat zur Verfügung. Kulturschaffen reicht weit – viel weiter, als auch ein noch so grosses Staatsbudget umgarnen kann und soll.
Wer zu den konkreteren Kapiteln Budget, Förderung, Handlungsfelder und Massnahmen weiterblättert, macht dort viele Kompromisse aus: Eine «unbefristete Carte Blanche auf Unterstützungswürdigkeit» gäbe es nicht, aber keine einzige Institution wird in ihrer Unterstützungswürdigkeit in Frage gestellt. Bezeichnenderweise liegen denn auch die vom Grossen Rat angeforderten Masterpläne Museen und Hallen noch immer nicht vor. Die Forderung nach einem stetigen Wachstum des Kulturbudgets strich der Regierungsrat zwar aus dem Leitbild, doch die kulturellen Aufgaben sollen «innerhalb der Finanzplanung gleich behandelt werden wie andere staatliche Aufgaben». Die Bedeutung privater Kulturförderung wird anerkannt, wenn auch nur subsidiär, hält das Leitbild doch fast bedauernd fest, dass «wohl mittelfristig kein Weg an einer Zunahme von Public Private Partnerships» vorbeiführe. Und Begriffe wie «Evaluation» und sogar «Controlling» nimmt das Leitbild auf, sie fallen indes vage aus. Diese Sowohl-als-auch-Haltung ist aus dem Selbstverständnis der staatlichen Kulturförderung und der Anspruchshaltung der Subventionierten erklärbar. Man vermisst dennoch ein, zwei klare Stossrichtungen – wie dem Leitbild überhaupt jede Priorisierung abgeht.
Dies gilt auch für den vielleicht stärksten Abschnitt, der sich mit der demografischen Entwicklung, der «Migration, Inklusion und Partizipation» beschäftigt. Die staatliche Kulturförderung, immer auch eine massive Umverteilung von unten nach oben, beziehungsweise die von ihr alimentierten Institutionen sollen sich dem vermehrt annehmen. Die entsprechenden «Steuerungsinstrumente» werden zwar in Aussicht gestellt, liegen aber noch nicht vor.
Gänzlich fehlt schliesslich die Erkenntnis, dass Staatlichkeit das Kulturschaffen auch behindern kann. Wann folgt die Ausgliederung der staatlichen Museen aus dem engen Gerippe der Verwaltung, wo die Lösung der wieder zunehmenden Probleme der Rock- und Popszene mit den Lärmbeschäftigten des Kantons? Ebenso fehlt im Leitbild die Idee, die Nachfrageorientierung der unterstützten Kulturanbieter, die «ihre Relevanz nachweisen» sollen, mittels frei einzulösender Kulturgutscheinen für alle ernst zu nehmen.
Dass das 90seitige Kulturleitbild ohne Zusammenfassung daherkommt, bringt die Kulturpolitik des heutigen Regierungspräsidenten letztlich auf den Punkt. Denn wer nicht griffig darzulegen vermag, warum sich Basel-Stadt jährlich eine Kulturförderung von über 100’000’000 Franken leistet, mehr als überall sonst, dürfte dies letztlich auch nicht genau wissen. Die aktuelle Kulturpolitik erklärt sich nicht – und bleibt damit kaum begrenzt. Zwar enthält sich der Regierungspräsident der Intendanz, macht das Leitbild um die Inhalte doch einen grossen Bogen – einen vielleicht zu grossen, denn normfreie Kulturförderung gibt es nicht. Aber er versteht sich als Impresario, der den Kulturschaffenden das Jeweilige zuteilen will. Das kann er nicht, und das soll er auch nicht können.