Unbestreitbar ist die öffentliche Verwaltung in den letzten Jahren gewachsen – und das schneller als die Bevölkerung und die Wirtschaft. Für diesen Megatrend, der nicht nur für den Bund, sondern auch die anderen Staatsebenen gilt, wird gerne die Verwaltung selbst verantwortlich gemacht: Sie sei der Prototyp des selbsterhaltenden Systems mit Wachstumsdrang, ja eines Molochs, wo Hunderte von Beamten in Viererkolonne die Gänge auf und ab gingen und neue Bestimmungen erfinden würden, wie ein lokaler Wirtschaftsverbandsdirektor einmal kalauerte.
Mein Eindruck als früherer Basler Regierungsrat und Chef von gegen 2000 Staatsangestellten war und ist ein anderer, obwohl «mein» Stellenwachstum jährlich rund 1 Prozent betrug, was zugegebenermassen nur leicht unter dem kantonalen Durchschnitt lag. Wo genau aber liegt das Problem, das aus liberaler Sicht tatsächlich eines ist, und wo die Lösung?
Wer macht was?
Lassen wir das Bevölkerungswachstum einmal beiseite, die zusätzlichen Lehrer wegen mehr Kindern in der Schule und die zusätzlichen Polizisten wegen mehr Partyvolk auf der Strasse. Konzentrieren wir uns stattdessen auf den überproportionalen Anstieg, kann die Ursache des Wachstums auf grundsätzlich vier Felder zurückgeführt werden (siehe Abbildung). Abstrahiert formuliert bestimmt im Idealfall die Politik, was die Verwaltung machen soll, und diese setzt es um. Die Politik macht also Politik («Bestellung»), die Verwaltung macht Verwaltung («Umsetzung»). Darüber hinaus kann die Politik sich «nach unten» in die Umsetzungsarbeit einmischen («Einmischung»), die Verwaltung ihrerseits den Auftrag «nach oben» aufmischen («Aufmischung»).
Feld A: des Pudels Kern
Nach meiner Erfahrung als kantonaler Exekutiv- und davor Legislativpolitiker ist der wichtigste Täter rasch identifiziert: Auch wenn vornehmlich bürgerliche Politiker in einem Land, das seit seiner Gründung bürgerliche Mehrheiten kennt, es nicht gerne hören, bestimmt zuerst und vor allem die Politik die Grösse der Verwaltung. Trotz der – teilweise widersprüchlichen – Klischees der faulen oder übereifrigen Beamtenschaft sind es in erster Linie die vom Volk gewählten Männer und Frauen, die den Staatsapparat «boostern». Gewiss wird in der Rechnungs- und in der Budgetdebatte das Kosten- und Stellenwachstum jeweils stark kritisiert. Das parlamentarische Jahr hindurch aber gibt es von links bis rechts tausendundeine Idee, wo noch eine Subvention gesprochen, ein Problem staatlich angegangen, eine Dienstleistung neu geschaffen und eine Regelung dringend eingeführt werden sollte, könnte und ergo müsste. Und nie, gar nie bestellt die Politik irgendetwas ab!
Dies liegt letztlich darin begründet, dass sich Politiker ungleich besser profilieren, wenn sie etwas machen, als etwas nicht machen. Verstärkt gilt das für die Bundesversammlung, die sich zum Profibetrieb und damit zum mutmasslichen Haupttreiber des Schweizer Staatswachstums gemausert hat. Sowenig also die Politiker die «böse» Verwaltung verantwortlich machen können, kann indes das Volk wiederum auf die «bösen» Politiker zeigen. Der enorme Anspruch an Problemlösungen durch die Politik und das Leistungsangebot der öffentlichen Hand führen eben zur Wahl von aktiveren statt passiveren Politikern. Gerade der Drang nach Sicherheit aller Art – regulatorisch, sozial, gesundheitlich oder polizeilich – ist ungebrochen: Je reicher und sicherer wir werden, desto mehr fürchten wir das Restrisiko und hoffen auf den Staat. Bref: Dass jedes Volk jene Politiker bekommt, die es verdient, und jeder Politiker jene Verwaltung hat, die er selbst geschaffen hat, bleibt so lapidar wie richtig.
Feld D: die verlorenen Effizienzgewinne
Trotzdem liegt das meines Erachtens zweithöchste Potenzial für eine kleinere Verwaltung bei ihr selbst, nämlich im Kern ihres Auftrags: der Umsetzung. Zwar geht das überzeichnete, aber nicht immer falsche Lamento über die ineffiziente Verwaltung auf Phänomene wie lange Entscheidungswege oder Konzentration auf die «Innenpolitik» zurück, die Grossunternehmen der Privatwirtschaft genauso gut kennen. Aber im Gegensatz zu diesen fegt der Sturm regelmässiger Restrukturierungen nur sehr selten durch staatliche Büros. Dabei sollte auch die Verwaltung mit dem allgemeinen Fortschritt, der besseren Ausbildung und vor allem der zunehmenden Technologisierung jedes Jahr automatisch ein paar Prozentpunkte effizienter werden. Diese versickern aber irgendwo in den Tiefen des Verwaltungsapparats.
Explizit benannt werden die Effizienzgewinne immerhin dort, wo sie als Begründung eines zu startenden Projekts ins Feld geführt werden. Besonders bei den – zahlreichen und teuren – Informatikvorhaben wird gerne betont, dass deren Realisierung die Effizienz erhöhe. Oft bleibt es dann bei den Worten, und die tatsächliche Abschöpfung – etwa durch Personalabbau oder die Bewältigung einer zusätzlichen Bestellung (siehe Feld A) ohne Mehrmittel – geht «vergessen», da nach der Projektbewilligung die Motivation dafür entfällt. All das könnte die Politik summarisch abzufangen versuchen, indem sie – bei gleichem Output – den Input, sprich das Budget, jedes Jahr um beispielsweise ein Prozent kürzt.
Feld B: die engen Rahmenbedingungen
Somit bleiben die letzten beiden Felder, die es eigentlich gar nicht geben dürfte, aber ebenfalls als Wachstumstreiber wirken. Da bestellt die Politik nicht nur üppig, sie mischt sich auch in kostentreibender Art und Weise in die eigentliche Verwaltungsarbeit ein. Dazu gehört das Verwaltungsrecht im engeren Sinne, namentlich das Personal- oder das Submissionsrecht. Beide machen die Verwaltung langsam und teuer. Der Höhepunkt war in meinem Departement eine komplexe Beschaffung, bei der wir uns überlegen mussten, ob wir eine Ausschreibung machen, um
einen Spezialisten zu finden, der uns hilft, das Gewünschte auszuschreiben.
Aber auch auf der weicheren Ebene mischen sich Parlamentarier, nicht selten als Volksvertreter und Gewerkschaftssekretär in Personalunion, ständig in die Organisationsdetails der Verwaltung ein. Besonders beliebt ist etwa die Behauptung, es gäbe zu wenig Mannschaft und zu viel «Wasserkopf», obwohl in einer bestimmten Konstellation vielleicht ein Denker mehr und ein Macher weniger angezeigt wären. Ebenso sind die zunehmenden Kontrollinstanzen – vom Datenschutz bis zu den parlamentarischen Geschäftsprüfungs- und allerlei weiteren Aufsichtsorganen – immer gut gemeint und mitunter tatsächlich wichtig! Aber sie sorgen definitiv nicht für mehr Pragmatik in der Verwaltung. Und Effizienz hat viel mit Pragmatik zu tun.
Feld C: die «staatsinternen NGO»
Kommen wir schliesslich zum meistinkriminierten, aber in meiner Wahrnehmung eben kleinsten Treiber, zu den behaupteten Viererkolonnen, die sich neue Schikanen ausdenken und ohne Bestellung aktiv würden. Solche marschierten nicht durch mein Departement. Aber ja, es gibt sie, die Ämter, die einen Hang zum Überborden entwickeln. Allerdings nicht, um die Welt zu schikanieren, sondern um sie zu «retten». Besonders Anlauf- und Beratungs- oder auch Koordinationsstellen – für Präventionen und Integrationen, gegen Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten aller Art – missverstehen sich zuweilen als «staatsinterne NGO», berufen sich direkt auf «die» Wissenschaft, die «richtige» Haltung oder irgendeine Empfehlung der UNO und entwickeln danach Aktivitäten, die über die politische Bestellung hinausgehen.
Dass letztere oft nicht präzise definiert und begrenzt worden ist, hilft genauso wenig wie die nachvollziehbare Tatsache, dass sich Personen für diese Positionen bewerben, die sich mehr dem allgemeinen Thema als dem konkreten Auftrag verpflichtet fühlen. Doch auch hier wäre es an der Politik, den Mut aufzubringen, die zusätzlichen Gelder, falls nicht gewünscht, halt nicht zu sprechen. Denn kein Amtsleiter erweitert sein Tätigkeitsfeld ohne Budgeterhöhung freiwillig.
Man kann es drehen und wenden, wie man will: Ja, die Verwaltung kann kleiner oder zumindest nicht grösser werden. Aber den Hebel dafür hält die Politik in der Hand. Sie muss in erster Linie weniger und klarer bestellen und in zweiter Linie die laufenden Effizienzgewinne einfordern statt verhindern. Regelmässiges Verwaltungbashing reicht nicht.
Dieser Artikel erschien zuerst im Schweizer Monat.