In lauwarmer Eselsmilch

Ein Wort geht um: die Mitte. Politische Kommentatoren packen derzeit alles darunter, was nicht eindeutig „links“ oder „rechts“ liegt. Neben SVP und Rot-Grün die Mitte also. Gleichzeitig wird der Begriff der Bürgerlichen verschrieben und jener der Liberalen verwässert. Manche der betroffenen Partei scheinen sich gegen das Etikett der Mitte nicht etwa zu wehren, sondern gar froh darüber zu sein, mit einem offenbar modernen Begriff versehen zu werden. Sie verkennen dabei ihre drohende Verabschiedung aus der politischen Diskussion. Denn die Mitte ist ein eigentliches Nicht-Wort: Wer in der Mitte ist, definiert sich nicht selbst, sondern über jene, zwischen denen er sich einzumitten versucht oder eingemittet wird. Und Bewegungen sind nur erlaubt, dann aber eine Bedingung, wenn sich die Referenzpunkte rechts und links verschieben.

 Lauwarm. Eine solche Politik der Geometrie statt der Inhalte ist letztlich Ausdruck einer programmatischen Leere: Was immer die anderen wollen, ich bin mitten drin. Einem ähnlich geometrischen und deshalb kaum zielführenden Ansatz reden manche Soziologen bei der Armutsbekämpfung das Wort. Wird jeder als arm eingestuft, dessen Einkommen den Durchschnitt um soundsoviel unterschreitet, werden die „Armen“ automatisch „reicher“, wenn das Durchschnittseinkommen sinkt. Diese bestechende Logik dürfte denn auch erklären, warum die wenigen 1.-Mai-Manifestanten unlängst wieder lauter für die Verarmung der Reichen statt die Verreichung der Armen skandiert haben.

Natürlich reklamiert auch die Mitte für sich selbst eine eigene Haltung. Die Mitte sei ein klares Projekt, ein stringentes Programm, eine Position, für die es zu kämpfen gilt. Man hat dabei die ägyptische Dienerin im Ohr, die in der Asterix-Verfilmung die badende Monica Bellucci alias Kleopatra eindringlich warnt, dass die Eselsmilch sehr, sehr lauwarm sei. Ebenso handwarm ist das Eintreten der neuen Mitte-Politiker gegen die „Extremen“ und für die „Sachpolitik“. Schliesslich ergibt die Ablehnung bestimmter Positionen allein noch kein Programm. Und die eigene Politik als die einzig „objektiv Sachliche“ darzustellen, wirkt entweder ziemlich überheblich und/oder verkennt die Tatsache, dass es in der Politik auch heute noch grosse ideelle Unterschiede gibt. Niemand vermag einen politischen Entscheid bar jeder Weltanschauung zu fällen. Schon gar nicht in der Mitte, wo man sich ja explizit an den Glaubenssätzen von links und rechts orientiert.

Eiskalt. Gewiss gibt und braucht es – dringender denn je – andere politische Positionen als jene der so genannten Extreme. Diese sind aber nicht in der Mitte, sondern jenseits von links und rechts zu finden. Unser Land ist deshalb so viel erfolgreicher als praktisch alle anderen auf der Welt und in der Geschichte, weil wir uns seit über 150 Jahre als mehr oder weniger offene Gesellschaft organisieren. Die offene Gesellschaft bietet ihren Gemeinschaften keine Antworten, lässt solche aber zu – mehr, besser und vielfarbiger als jede andere Gesellschaftsform. Sie lässt Leute kommen und gehen, Ideen entwickeln, Neues entstehen sowie den Menschen ihre Mittel, ihre Freiheit und ihr Streben nach Glück.

SVP und SP verkennen diese Erfolgsfaktoren gleichermassen und marschieren nicht selten in die gleiche Richtung. Beide spitzen sie ihr republikanisches bzw. interventionistisches Demokratieverständnis zu und untergraben dabei, im Kollektivismus zunehmend Kollegen, das Erfolgsmodell Schweiz. Wenn die Nationalkonservativen alles als richtig erachten, wenn es nur an der Urne durchkommt, und vor allem die Sozialdemokraten „den Kapitalismus überwinden wollen“, läuft es einem, historisch und ideell zu Ende gedacht, eiskalt den Rücken herunter. So betrachtet, verläuft die entscheidende inhaltliche Achse zwischen Staat und Freiheit – statt einer geometrischen zwischen links und rechts – von der SP über die SVP zu den Bürgerlichen.

Gewiss, bei aller Rhetorik finden sich zumeist mehr oder weniger sinnvolle Kompromisse, baden wir doch alle nicht gerne zu heiss oder zu kalt. Auch gestalten sich die Mehr- und Minderheiten der zersplitterten Schweizer Parteienlandschaft in der Praxis variabel. Eine diffuse Mitte aber bringt im täglichen Prozess der politischen Einigung keine eigenen Inhalte ein, sondern nimmt bestenfalls den Kompromiss vorweg und macht sich damit überflüssig. Das Eintreten für die offene Gesellschaft erlaubt keine neutrale Mitte, sondern verlangt nach klarer Position. Zumindest am Anfang des Tages sollten die Wähler wissen, für was – und nicht wo ein Politiker steht.

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