Erstmals in der Geschichte ist die baselstädtische Nettoschuldenquote ins Minus gerutscht, aus der Nettoschuld des Kantons wurde ein Nettovermögen. Als einer der Geburtshelfer der Basler Schuldenbremse, mit der vor über 15 Jahren die Nettoschuldenquote zur relevanten Grösse wurde, freut das auch mich. Gleichzeitig ist diese Entwicklung Ausdruck eines strukturellen Missverhältnisses unserer Staatskasse: Es wurde relativ zu viel eingenommen oder zu wenig ausgegeben. Letzteres kommt allerdings kaum in Frage, ist das hiesige staatliche Leistungsniveau doch notorisch hoch – und vor allem: Gesunde Staatsfinanzen sind immer nur Mittel zum Zweck gesunder Kassen der Bürgerinnen und Bürger. Deshalb müsste eigentlich unbestritten sein, dass es nun rasch deutliche Steuersenkungen braucht, besonders für jene, die «schuld» an der aktuellen Situation sind, weil sie zu viel Steuern bezahlt haben.
Auf der Steuererklärung ankreuzen
Realpolitisch aber sind Steuersenkungen natürlich alles andere als unbestritten. Zum einen verstehen viele Linke Umverteilung und Staatsquote als Selbstzweck, zum anderen haben auch manche Bürgerliche viele gute Ideen, wo es noch etwas mehr Staat sein sollte. Bekanntlich profilieren sich alle Politiker besser, wenn sie etwas tun statt lassen, und gezielte Mehrausgaben kommen oft besser an als generelle Steuersenkungen. Es liegt also auf der Hand, dass auch jetzt eine Mischung aus Mehrausgaben und Steuersenkungen sowie ein Kompromiss darüber resultieren wird, wer davon profitieren soll.
Auf der Ausgabenseite bietet dies eine gute Möglichkeit, die Einführung eines neuen Modells zu prüfen. Statt nur im Parlament auszukäsen, ob es eine neue Schwimmhalle oder eine noch grössere Universität, mehr Sozialarbeiter oder mehr Polizisten, Grünräume, Velostreifen oder Autobahnen braucht, soll diese Frage teilweise dem Steuerzahler selbst überlassen werden. Dieser würde damit zu einem tatsächlichen Besteller. Konkret könnte jede und jeder auf der Steuererklärung ankreuzen, wofür er seine Abgabe «spenden» will. Man spricht bei diesem System von «Individually Tied Taxes», von sogenannten (individuell) gebundenen Steuern.
Verschiedene Ausgestaltungen möglich
Hierfür sind einerseits einzelne Politikfelder genug spezifisch, aber auch praktikabel zu definieren, die ausgewählt werden können. Anderseits ist festzulegen, wie gross dieser selbstbestimmte Teil der Steuerzahlung ausfallen soll. Das liesse sich relativ fixieren, zum Beispiel ein Viertel oder die Hälfte, oder es gibt eine Sockelsteuer, und der Betrag darüber kann vom Steuerzahler frei zugeteilt werden. Diese hätte den Vorteil, dass analog zur progressiven Besteuerung ebenso die Selbstbestimmung progressiv zunimmt. Versuchsweise könnte auch mit einem vergleichsweise kleinen «Freibetrag» gestartet werden.
An einem solchen Modell sollten alle politischen Lager interessiert sein. Den Bürgerlichen müsste die Freiheit freuen, die den Steuerzahlern zugestanden wird. Auch folgender Effekt ist nicht zu unterschätzen: Die Kernverwaltung – nötig, aber wenig «sexy» – dürfte seltener angekreuzt werden als eine konkrete Dienstleistung «an der Front», weswegen erstere automatisch gezwungen würde, ihre Effizienz zu erhöhen. Aber auch die Linke müsste diese Idee nicht gleich in Bausch und Bogen verwerfen. Gegenüber dem heutigen System der individuell nicht bindbaren Steuern bliebe die Staatsquote unverändert, und die Einführung gebundener Steuern könnte gar den Druck lindern, diese noch mehr zu senken als ohnehin angebracht.
Mehr Demokratie wagen
Darüber hinaus erweitern gebundene Steuern die Demokratie. Bisher kann bei uns auf zwei Arten entschieden werden: An der Urne und mit den Füssen. Wer sich bei Abstimmungen und Wahlen nicht durchsetzen kann oder will, hat die Option, in einen anderen Kanton zu ziehen. Als dritte Option käme nun die Mitbestimmung durch Steuerzahlung hinzu. Nicht nur ist die Gruppe jener, die nicht abstimmen dürfen, etwas grösser als jene, die keine Steuern zahlen. Vor allem betrifft es nicht dieselben Personen. Namentlich ermöglichten gebundene Steuern Ausländerinnen und Ausländern mitzuentscheiden, und insgesamt würde die Demokratie noch direkter.
Nicht zuletzt bringt dieses Modell auch Vorteile im Standortwettbewerb. Gerade weil die kantonale Autonomie über die Steuersätze tendenziell abnimmt, werden andere Faktoren wichtiger. Gibt der Kanton seinerseits finanzielle Autonomie an seine Einwohnerinnen und Einwohner ab, kann dies eine bedeutende Strahlkraft entfalten. Die hervorragende finanzielle Ausgangslage würde es Basel-Stadt auf jeden Fall ermöglichen, einmal mehr Pionierarbeit zu leisten. Wie damals bei der Einführung der Schuldenbremse, die sich nun als so erfolgreich erwiesen hat.